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Die Zeit, in der wir gerade leben, ist eine merkwürdige. Ein unsichtbarer Gegner hat die Welt im Griff. Während manch einer einfach Zuhause ausharren muss, lernen andere, was es wirklich bedeutet, eine Familie zu sein und wieder andere stehen an vorderster Front und kämpfen mit den hässlichsten Auswirkungen des Virus. In dieser unheimlichen und fordernden Atmosphäre müssen wir alle Geduld aufbringen, möglichst rational denken und handeln und täglich lernen, was es heißt, eine Krise zu bewältigen. Doch vor allem ist jedes Mitglied der Gesellschaft gefordert, besonders eine Tugend zum Vorschein kommen zu lassen: Achtsamkeit! Wir wollen daher einen Blick auf das bereits in den letzten Jahren aufgekommene Phänomen der neuen Achtsamkeit in Beruf und Alltag werfen.
In Krisenzeiten halten sich die Menschen an alles, was ihnen Kraft, Zuversicht, Halt und Richtung gibt. Im schlechtesten Fall ist dies ein autokratischer Herrscher, im besten Fall etwas Schönes wie Musik, ein Kunstwerk oder Hoffnung machende Worte, an die man sich klammern kann wie an ein Geländer. Und manchmal kommen derartige Worte nicht von einem der großen Anführer, Philosophen oder Künstler, sondern von einer einfachen Frau und Mutter. In Amerika war der Sohn einer solchen bemerkenswerten Mutter zwar äußerst bekannt und populär, die Ansage, auf die ich hinaus will, stammt jedoch von ihr. Überliefert wurde sie von dem Fernsehmoderator Fred Rogers, besser bekannt als Mr. Rogers, der jüngst in einem Spielfilm von Tom Hanks verkörpert wurde. „Als ich ein kleiner Junge war“, erklärte Rogers über die Jahre immer wieder mal, „und in den Nachrichten schlimme Dinge sah, die in der Welt passierten, sagte meine Mutter zu mir: Achte auf die Helfer. Du wirst immer Menschen finden, die helfen. Bis zum heutigen Tag, besonders in Krisenzeiten, erinnere ich mich an die Worte meiner Mutter, und es tröstet mich, dass es immer so viele Helfer gibt, so viele fürsorgliche Menschen in der Welt.“
Und es stimmt. Denn auch, wenn – momentan vornehmlich online – über den richtigen Umgang mit der Krise gestritten wird, so ist es doch erstaunlich, wie aufopferungsvoll weltweit nicht nur Ärzte und Krankenhauspersonal, sondern auch viele andere in ihren Berufen oder auch privat versuchen, zu helfen, aufmerksam zu sein. Achtsam.
Doch auch schon vor Covid-19 war ein Trend zu mehr Achtsamkeit zu beobachten. Wir haben uns die Grundlagen dieser neuen Achtsamkeit angesehen und wie sie sich am Arbeitsplatz und im Umgang mit Kollegen nicht nur auf die eigene Persönlichkeit auswirkt, sondern auch auf das Umfeld und das Ergebnis des eigenen Wirkens.
Erforscht man die Ursprünge der Achtsamkeit und der damit verbundenen Methoden, die es uns ermöglichen, unserer Umwelt aufmerksamer und empatischer zu begegnen, stößt man sehr schnell auf den Buddhismus. Bereits in der zweieinhalbtausend Jahre alten buddhistischen Lehre Satipatthana-Sutta finden sich die Wurzeln der sogenannten Achtsamkeitspraxis. Demnach ist Achtsamkeit nicht gleichzusetzen mit Aufmerksamkeit, sie hat vielmehr eine tiefere Bedeutung, basiert auf Weisheit und Mitgefühl und somit auf Qualitäten, die das Fundament eines glücklichen Lebens sind.
Um wirklich achtsam zu sein und zu agieren, müssen nach Lesart derer, die sich mit dem Thema ausgiebig befasst haben, verschiedene innere Haltungen beziehungsweise Qualitäten vorhanden sein. Diese Qualitäten können sehr gut auch als Leitfaden dienen, wie man ein Leben mit mehr Achtsamkeit hinbekommt, sowohl privat als auch beruflich.
Gelegentlich werden noch die Eigenschaften Mitgefühl, Humor und Freundlichkeit der Liste der Haltungen und Qualitäten hinzugefügt. Über die genannten neun geistigen Qualitäten sagt Jon Kabat-Zinn, der Gründer des Center for Mindfulness der University of Massachusetts und eine Art Vater der modernen Achtsamkeitspraxis: „Für Menschen klingen diese Punkte alle sehr einfach, aber in Wahrheit ist ihre Umsetzung für Menschen mit die schwerste Sache der Welt.“ Zinn war es auch, der das säkulare Trainingsformat „Mindfulness Based Stress Reduction“ (MBSR) entwickelt hat (mehr dazu in Teil 2 unserer Serie).
Wie sehr das Thema Achtsamkeit Teile unserer Gesellschaft bereits durchdrungen hat, lässt sich beispielhaft sehr gut an dem Thüringer Modellprojekt „Achtsame Hochschulen in der digitalen Gesellschaft“ ablesen. In diesem wird MBSR mittels zielgruppenspezifischer Trainingsformate für die besonderen Bedürfnisse an Hochschulen adaptiert. Dabei wird unter anderem die Wirkungskraft von Achtsamkeit in einer digitalisierten Hochschullandschaft erforscht. Dies ist vor allem interessant, da gemeinhin die Digitalisierung als eine Art Antagonist der Achtsamkeit angesehen wird. Im Detail geht es bei dem Projekt um die Klärung der Frage, wie Achtsamkeitstrainings zu einem ausbalancierten Umgang mit digitalen Technologien führen können, aber auch wie man die Motivation für eine selbstbestimmte Gesundheitsförderung an Hochschulen stärken kann.
Erstaunlich ist, wie gründlich dieses Projekt aufgezogen wurde: Es gab eine systematische Analyse, eine Evaluation und Erprobung von Trainings, sowie deren Weiterentwicklung und schließlich den Aufbau der Plattform www.achtsamehochschulen.de.
Sogar die Elite-Uni Yale bietet einen Kurs namens „Wissenschaft des Wohlbefindens“ an, der seit Ende März kostenlos verfügbar ist. Ausgearbeitet hat „The Science of Well-Being“ die Professorin für Psychologie und Kognitionswissenschaft Laurie Santos. Wer nun annimmt, dass dieser Kurs ein Nischendasein im Gesamtangebot der Universität fristet, könnte falscher nicht liegen. Santos‘ Lerneinheiten zum Wohlbefinden wurde binnen kurzer Zeit der erfolgreichste Kurs der gesamten 300-jährigen Universitätsgeschichte, und auch jenseits der akademischen Mauern begeisterte er zahlreiche Menschen. Die Folge: Unter anderem entstand daraus ein Podcast namens „The Happiness Lab“, der bislang sage und schreibe 8,5 Millionen Mal heruntergeladen wurde.
Kehren wir nochmal kurz zu Mr. Rogers und Tom Hanks zurück. Hanks und seine Frau erfuhren jüngst selbst ein hohes Maß an Achtsamkeit und Fürsorge, als Krankenhausmitarbeiter das Ehepaar pflegte, nachdem es sich in Australien mit dem Coronavirus infiziert hatte. Hanks selbst schrieb zudem erst vor Kurzem einem Jungen namens Corona De Vries, der sich aufgrund seines Namens dem Mobbing von Mitschülern ausgesetzt sah, einen mitfühlenden und aufmunternden Brief und sandte De Vries eine Schreibmaschine der Marke Corona, die der Junge nutzen solle, um ihm zurückzuschreiben.